Krieg und Frieden

Einleitungsrede zum Verleihung des Kunstpreises 2023
von Bernd Rosenheim

Den Titel dieser Ausstellung und die Aufgabe, die wir den Künstlern damit stellten, haben wir nicht von Tolstois Roman übernommen, sondern der Begriff ist so allgemein in den Sprachgebrauch eingegangen, sodass man, wenn man vom Krieg spricht, den Frieden mitdenkt und umgekehrt. Aber eben nur denkt und nicht erlebt. Dieses Gegensatzpaar bleibt zunächst etwas Abstraktes, von dem zumindest der Krieg, in zeitliche und räumliche Ferne gerückt, uns existenziell nicht berührt.

Denn tatsächlich leben wir im Frieden, ja sogar im Wohlstand ­- bei allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen. Und zwar mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass dies offenbar kaum noch jemand wahrnimmt, sondern die Probleme werden als existenziell bedrohlich erlebt, was sich dann in Kritik oder auch Polemik und in den unterschiedlichsten Demonstrationen entlädt.

Der gewaltige Gegensatz zwischen diesem Dasein im Frieden und der Wirklichkeit des Kriegsgeschehens, in dem die Existenz der Menschen jeden Augenblick gefährdet ist, könnte kaum größer sein und ist wohl den Wenigsten bewusst.

Und dennnoch scheint uns der Krieg heute so nahe gerückt wie nie zuvor, da wir ihn täglich auf den Bildschirmen vor Augen haben. Wir blicken aus einem Raum des Friedens in eine Welt von Zerstörung, Schmerzen, Leid und Tod. Wir mögen emotional berührt sein, existentiell sind wir nicht bedroht. Wir werden nicht durch das schneidende Heulen von Alarmsirenen aus dem Schlaf gerissen, werden nicht bei einem ohrenbetäubenden Knall gegen eine Wand geworfen und von Glassplittern übersät, haben keinen beißenden Brandgeruch in der Nase, spüren nicht die sengende Hitze des Flammenherdes gegenüber in den Augen, so als müssten sie verdunsten, hören nicht die Schreie der Verletzten, stolpern nicht über Kleiderbündel, die einmal Menschen waren. 

Nicht diese und auch nicht tausend andere Schrecken erleben wir, sondern aus wohlbehüteter Sicherheit schauen wir – auf Bilder.

Bilder, die in der Tat reales Geschehen zeigen, zugleich aber gewissen Kinofilmen zum Verwechseln ähnlich sind. Als ich bei Freunden zu Besuch zufällig auf einen ohne Ton laufenden Fernseher sah, wie ein Flugzeug in ein Hochhaus hinein flog, gefolgt von einer gewaltigen Explosion, glaubte ich, es handele sich um einen jener Katastrophenfilme, die seltsamerweise beim Publikum so beliebt sind. Solche Filme können die Wirklichkeit glaubwürdig inszenieren, auch die Wirklichkeit des Krieges.

So ist es dem Regisseur Steven Spielberg gelungen, in seinem Film „Der Soldat Ryan“, die Landung der Alliierten in der Normandie in einer Weise darzustellen, dass man glaubt, sich selbst inmitten des grauenhaften Geschehens zu befinden, hautnah zwischen den Kämpfenden mitanzusehen wie Menschen sterben oder brutal verletzt werden. Das kann kein Dokumentarfilm, der die Wirklichkeit abbildet. Spielbergs Film ist geschnitten, d. h. Szene für Szene ist in ihrem rhythmischen Ablauf, in ihrer zeitlichen Dauer, ihrem Ton und ihrer Handlung durchgestaltet. Das macht ihn zu einem Kunstwerk.

Wie die Bildende Kunst handelt es sich dabei um eine visuelle Kunst, deren Realitätsnähe von der Bildenden Kunst nie erreicht werden kann und auch nicht erreicht werden soll. Denn sie kommentiert die Welt in der Sicht der Künstler und der jeweiligen Epoche. So verändert sich die Erscheinung der Wirklichkeit in der Kunst und entsprechend die Wahrnehmung von Krieg und Frieden.

Darstellungen des Krieges können entweder naiv erzählend auftreten, wie etwa auf dem Teppich von Bayeux oder als Panorama wie die „Alexanderschlacht“ von Albrecht Altdorfer oder dramatisch und heroisch überhöht wie Leonardos „Schlacht von Anghiari“, wie die Skizzen zeigen oder eine Kopie von Rubens. In all diesen Werken sind die Verletzten und die Toten als Kollateralschaden dargestellt, sozusagen als unvermeidliche Nebensache.

Noch weiter entfernt von der Realität des Krieges sind Darstellungen wie die „Allegorie der Schrecken des Krieges“ von Rubens, worin Venus mit ihrer Umarmung vergeblich versucht, den Mars zurückzuhalten. In dem Gegenstück dazu, in der „Friedensallegorie“ stößt Minerva den bewaffneten Mars weg von einer nackten Frauengestalt, die einen Säugling an ihrer Brust hält, Pax, die Verkörperung des Friedens. Mit mehreren allegorischen Gemälden dieser Art drückte Rubens den Wunsch nach Frieden aus. Es herrschte der Dreißigjährige Krieg.

In ganz anderer Weise beschrieb ein Zeitgenosse von Rubens den Krieg: Jacques Callot. In seinen Radierungen „Les Miseres et les Malheur de la Guerre“ zeigte er zum ersten Mal in der Kunst das grauenhafte Morden, Plündern, Foltern, Hängen, Vergewaltigen und Brandschatzen, Geschehnisse, die, weit mehr noch als die eigentlichen Kämpfe, im Krieg vorherrschen.

Ebenso unbarmherzig beschreibt Francisco de Goya die „Desastres de la Guerre“.

Das berühmteste Antikriegsbild des 20. Jhds. ist Pablo Picassos „Guernica“. Bei uns sind die bekanntesten Künstler Otto Dix und Georg Grosz, die den Krieg und seine Folgen unerbittlich schildern.

In gleicher Weise nähern sich die Künstler dieser Ausstellung dem Thema Krieg an, kritisch und mit Empathie für die Opfer. In einzelnen Arbeiten drückt sich die Hoffnung auf Frieden aus mit der Taube als Symbol. Überraschend vielfältig sind die Aussagen, wobei immer wieder auf die Folgen des Krieges hingewiesen wird, teilweise in fotorealistischer Präzision. Darstellungen des Entsetzens, apokalyptischer Visionen, verwüsteter Landschaften, von Menschen auf der Flucht oder eingehüllt in Totentücher. Es gibt die Retter und die Anstifter von Kriegen, vom Krieg bedrohte Natur, abstrahierende Schilderungen von Kampf Gewalt, Zerstörung und Tod.

Allen diesen Werken ist gemein, dass sie hervorragend gezeichnet sind in jeweils eigener Art. Sie gewinnen ihre Ausdruckskraft aus der Reduktion auf Schwarz und Weiß. Das war, neben dem Thema Krieg und Frieden, die Aufgabe, die wir den Künstlern stellten. Denn wir fragten uns, wieweit die Handzeichnung als autonomes Kunstwerk von Künstlern heute noch gepflegt wird. In den Lehrprogrammen der Kunsthochschulen erscheint Zeichnen nicht mehr als eigenständiges Fach, zumindest in Deutschland nicht. 

Die Reaktion auf die europaweite Ausschreibung dieses Kunstpreises war erstaunlich. Es beteiligten sich 483 Künstler aus 20 Ländern, darunter Künstler aus Kanada und USA, die wie leider ausschließen mussten. Aus 1238 Einreichungen wurden in 3 Jurysitzungen 44 Werke von 37 Künstlerinnen und Künstlern ausgewählt. Sie stammen aus Österreich, Frankreich, Italien, Luxemburg und Deutschland.